Einblicke in das Leben der Henschels

Veröffentlicht von Administrator am 20.02.2024

HNA vom 20. Februar 2024

Persönliche Erinnerungen transkribiert

Lebenserinnerungen der Sophie Henschel: Christa Forcht vom Verein Henschelmuseum hat die Lebenserinnerungen, die Sophie Henschel an ihre Kinder adressiert, transkribiert. Dem Buch vorgelagert sind Fotografien der Familien. FOTO: CLAUDIA FESER
Lebenserinnerungen der Sophie Henschel: Christa Forcht vom Verein Henschelmuseum hat die Lebenserinnerungen, die Sophie Henschel an ihre Kinder adressiert, transkribiert. Dem Buch vorgelagert sind Fotografien der Familien. FOTO: CLAUDIA FESER

VON CLAUDIA FESER


Kassel – Sophie Henschel hat ihren Fußabdruck in der Stadt hinterlassen: Sie ist Stifterin des Henschelbrunnens am Rathaus, des Rot-Kreuz-Krankenhauses und der Glocken für die Lutherkirche – jetzt hat die Chefin der Henschelwerke auch ihre persönliche Handschrift hinterlassen. In vier prächtigen Bänden hat Sophie Henschel zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre Lebenserinnerungen fein säuberlich aufgeschrieben. Christa Forcht vom Henschelmuseum hat die altdeutsche Schrift nun transkribiert. Das gewährt der Allgemeinheit Einblicke in das Privatleben der Henschels.
Zwei Wochen lang hat Christa Forcht die 64 eng beschriebenen Seiten durchgearbeitet, Wort für Wort, und in lateinische Schrift übertragen. Die damals 71-jährige Sophie Henschel hat die Erinnerungen knapp drei Jahre vor ihrem Tod festgehalten. Jede einzelne Seite hat sie vier Mal geschrieben, denn jedes ihrer vier Kinder sollte ein Exemplar erhalten. Sie wollte die Bücher zur Jahreswende 1912/1913 „den Meinigen“ überreichen, hatte sie auf der letzten Seite notiert. Dort schreibt sie: „Es tut mir leid, dass diese im Stil und in der Schrift nicht besser sind, aber ich musste gleich ins Reine schreiben und mit nur einem schlechten Auge und Tusche fällt das Schreiben überhaupt schwer.“
Zu diesem Zeitpunkt war Sophie Henschel schon am Grauen Star operiert, hatte einen leichten Schlaganfall überstanden und war seit 18 Jahren Witwe.
Der sehr persönlich geschriebene Rückblick beginnt mit ihrer Familiengeschichte und der ihres Ehemannes. „Wir lernen ihren Charakter näher kennen und bekommen ein menschliches Bild von ihr“, sagt Christa Forcht.
Als 1865 die 100. Lokomotive feierlich aus dem Werk gefahren wurde, gab Oskar Henschel ein Fest für die Arbeiter und deren Familien auf der Knallhütte. Sophie Henschel, die zum zweiten Mal Mutter geworden war, hätte gerne mitgefeiert. „Aber meine Schwiegermutter fand es zu unanständig, da die kleine Luise erst fünf Wochen alt war. Nach den Beschreibungen muss , der Verlauf herrlich gewesen sein, und halb Kassel war zugegen.“
Sophie Henschel schreibt vom Familienalltag, wie sie nachts an den Bettchen saß, wenn wieder eins der Kinder krank war. Sie berichtet von einer Sommerfrische an der Nordsee. 1872 fuhr sie mit ihren beiden ältesten Töchtern Erna und Luise und „meiner Jungfer“ nach Norderney, wo sie auf dem Schiff den Vater der späteren Kaiserin Auguste kennenlernte, den Herzog von Augustenburg. Plötzlich kam Sturm auf und mit ihm die Seekrankheit. Sophie Henschel erinnert sich: „Ich hatte mit mir zu tun, die Jungfer mit Erna, und als ich wieder an Deck erschien, hatte der Augustenburger rührenderweise Luise in seinen Armen.“
Am 22. Juni 1887 war ihre Silberne Hochzeit, weshalb sie mittags mit Ehemann Oskar und den Kindern zum Herkules fuhren. „Es war Mittwoch, also Wassertag, so wollten wir nicht im Wilhelmshöher Hotel zu Mittag essen.“ Stattdessen bestellten sie Pfannkuchen in einer kleinen Wirtschaft am Herkules.
Sorge und Trauer sind Teil ihrer Lebenserinnerungen: die Trauer um verstorbene Familienmitglieder, vor allem ihren geliebten Ehemann, die Sorgen über die Scheidung ihres Sohnes und die Erziehungsregelungen mit dessen Ex-Frau über deren gemeinsamen Söhne Enkel Oscar und Bobby.
Sorgen über die Zukunft der Henschelwerke notiert sie nicht. Aber der stärker werdenden Sozialdemokratie stand sie skeptisch gegenüber. Sie berichtet von Fotografien der 11 000. Lokomotive, die Arbeiter ihr überbrachten. „Solche Aufmerksamkeiten der Arbeiter waren im Winter 1912, wo eine gräuliche Hetzerei durch Sozialdemokraten stattfand, ganz besonders erfreulich.“
Sophie Henschel schließt ihre Erinnerungen mit guten Wünschen für Ihre Lieben in den kommenden Jahren. „Mir wünsche ich, dass Ihr meines geliebten Mannes und meiner in Treue gedenkt.“

Zuletzt geändert am: 24.05.2024 um 02:22

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