Prächtiger Bau über der Stadt

Veröffentlicht von Administrator am 18.04.2024

HNA vom 18. April 2024

REAKTIONEN AUF LEBENSERINNERUNGEN Sophie Henschel und die Villa am Weinberg

 

Auf dem Weinberg: Der Schnappschuss von Sophie Henschel und ihrem Sohn Karl ist mit großer Wahrscheinlichkeit an der Freitreppe der alten Henschel-Villa entstanden. FOTO: VEREIN HENSCHELMUSEUM
Auf dem Weinberg: Der Schnappschuss von Sophie Henschel und ihrem Sohn Karl ist mit großer Wahrscheinlichkeit an der Freitreppe der alten Henschel-Villa entstanden. FOTO: VEREIN HENSCHELMUSEUM

„Es war mir ganz wehmütig, die Fabrik, wo ich fast neun so glückliche Jahre verlebte, zu verlassen.“

Sophie Henschel über den Umzug in die Villa auf dem Weinberg

„Wohnhaus mit Garten“: Die Villa der Fabrikantenfamilie am Weinberg wurde 1869 von Oskar Henschel in Auftrag gegeben und 1871 bezogen. FOTO: STADT KASSEL
„Wohnhaus mit Garten“: Die Villa der Fabrikantenfamilie am Weinberg wurde 1869 von Oskar Henschel in Auftrag gegeben und 1871 bezogen. FOTO: STADT KASSEL

VON CLAUDIA FESER


Kassel – Sophie Henschel beeindruckt die Kasseler auch 109 Jahre nach ihrem Tod – das zeigen die Leser-Reaktionen auf unsere vierteilige Serie über die Lebenserinnerungen, die Sophie Henschel drei Jahre vor ihrem Tod verfasst hat. Das liegt wohl auch an der Menschlichkeit, mit der die Lokomotiv-Fabrikantin das Unternehmen führte – wohlgemerkt in einer Zeit, als Frauen in Deutschland noch nicht einmal das Wahlrecht hatten. Sophie Henschel sorgte für sichere Wohn- und Lebensverhältnisse ihrer Henschelaner. Und noch heute sind ihre Spuren sichtbar, die sie allen Kasselern hinterlassen hat, etwa der Krankenhausbau an der Hansteinstraße und der Brunnen vor dem Rathaus. Gleichwohl war sie eine monarchietreue Frau, das zeigen auch die beiden Exemplare ihrer Lebenserinnerungen, die sie in lateinischer Schreibschrift verfasst hat und die sich im Eigentum des Vereins Henschelmuseum befinden. Ein Buch ist in der Dauerausstellung des Museums an der Wolfhager Straße zu besichtigen. Im dortigen Archiv befindet sich auch ein Schnappschuss von Sophie Henschel und ihrem Sohn Karl, der sie vor einem schmiedeeisernen Geländer zeigt. Zu diesem Bild meldete sich der Kasseler Historiker Christian Presche bei der HNA mit dem Hinweis, dass das Foto seinen Recherchen nach an der Henschel-Villa an der Weinbergstraße 23 aufgenommen worden sein muss.

Das Geländer entspreche dem an der gartenseitigen Freitreppe, was Presche aufgrund mehrerer Fotovergleiche herausgefunden hat. Er geht davon aus, dass das Geländer aus der Henschel-Fabrik stammt, schließlich fertigte diese nicht nur Lokomotiven, sondern beispielsweise auch die Teufelsbrücke im Bergpark.
Die opulente Villa hatte Sophie Henschels Ehemann Oskar um 1870 bauen lassen. In ihren Lebenserinnerungen notiert sie: „Schon im Sommer 1866 stand Oskar in Verhandlung wegen des Ankaufs des Grundstücks, wo jetzt das Landkrankenhaus steht. Der Garten am Wohnhaus war fast ganz durch notwendige Fabrikbauten verschwunden (Familie Henschel lebte seit Generationen in einer Villa auf dem Firmengelände, und der alte Villengarten war im Laufe der Jahre mit Gebäuden der expandierenden Fabrik bebaut worden). Durch den Krieg (gemeint ist der Deutsche Krieg im Jahr 1866, bei dem Preußen Österreich besiegte) war die Ausführung des Plans, sich abseits der Fabrik ein Wohnhaus mit Garten zu schaffen, verschoben worden. Aber im Herbst 1867 trat Oskar der Idee wieder näher. Der Makler Hornthal wurde beauftragt, den sogenannten Schanerschen Felsenkeller auf dem Weinberg zu kaufen, für 16 000 Taler und 60 Taler Provision. Der Kauf wurde definitiv Silvester abgeschlossen. Oskar skizzierte eine Villa, wonach zwei hiesige Architekten versuchten, Pläne zu machen, die aber Oskar nicht gefielen. Er wandte sich dann an Professor Lucae in Berlin (dieser war beispielsweise Architekt des Opernhauses in Frankfurt und der Technischen Hochschule in Berlin), der unter Beibehaltung von Oskars Grundriss sehr hübsche Pläne fertigte, nach denen die jetzige Villa gebaut wurde. Zur damaligen Zeit gab es noch keine Wasserversorgung in Kassel, die öffentliche Versorgung der Stadt mit fließendem Trinkwasser kam erst Anfang der 1890er-Jahre.
Das hatte auch Auswirkungen auf den Henschel-Hausbau auf dem Weinberg. „Es wurde, da noch keine Wasserleitung in Kassel war, ein schon auf dem Grundstück befindlicher Brunnen bis auf das Fuldaniveau vertieft und mit Schwungrad durch vier Leute das Wasser heraufbefördert.
(...) Am 18. März 1871 bezogen wir die Villa auf dem Weinberg. Es war mir ganz wehmütig, die Fabrik, wo ich fast neun so glückliche Jahre verlebte, zu verlassen. Besonders schwer trennte ich mich von meiner lieben Schwiegermutter, denn wenn wir uns auch später fast täglich sahen, so war doch ein so häufiges Zusammenkommen wie bisher nicht mehr möglich.“
Die Villa von Sophie und Oskar Henschel wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört und stand noch Jahre nach Kriegsende als Ruine auf dem Weinberg. Das benachbarte Haus von Sohn Karl (1904 gebaut) wurde 1932 abgerissen. In einem Interview mit der HNA im Jahr 2009 sagte Werner P. Henschel, Sohn des letzten Firmenchefs Oscar R. Henschel, dass bei dem Abriss auch die Zahlung einer Luxussteuer für die Villa eine Rolle spielte.
Sein Vater habe die Villa zunächst der Stadt angeboten, die abgelehnt habe. „Dann hat er das Haus einer Abbruchfirma geschenkt“, sagte Henschel im HNA-Interview.
Im Kaiserreich, als seine Urgroßmutter Sophie Henschel lebte, waren zwar keine Monarchen zu Gast auf dem Weinberg – zumindest erwähnt sie dies nicht in ihren Lebenserinnerungen – wohl aber in der Fabrik, beispielsweise Kaiserin Augusta im Jahr 1878. Weitere Treffen gab es in Berlin. Sophie Henschel erinnert sich an ein kaiserliches Festessen. Ihr Sitzplatz an der Tafel „war der kaiserlichen ganz nahe, so konnte ich gut die Kaiserin sehen, welche neben dem Prinzen von Wales, nachmaligem King Edward, saß. Der Kaiser, die Kaiserin, die Kaiserin Friedrich (das war die Mutter des Kaisers) und viele andere redeten mich bei der nach beendeter Tafel stattfindenden Coeur an.“

Zuletzt geändert am: 24.05.2024 um 01:46

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